Leseprobe SILVESTERFUNK

Wir zucken beide zusammen, als die Klingel eindringlich schrillt.
„Erwartest du jemanden?“, fragt Richard.

Ich schüttele den Kopf, zucke die Achseln und mache mich angeführt von Gustav auf den Weg. Fast hätte ich schon die Tür geöffnet, den Griff habe ich bereits heruntergedrückt. Gut, dass ich gemäß meiner Angewohnheit dennoch vorher einen kurzen Kontrollblick in den Garderobenspiegel geworfen habe, denn so kann ich unmöglich öffnen!

An meinem durch das Hämatom entstellten Auge lässt sich zwar auf die Schnelle nichts ändern, aber da ich beim Zwiebelschneiden nun auch noch geweint habe, sind meine Lider gerötet und die ein oder andere Träne läuft mir die Wange hinab.

Ich lasse den Türgriff wieder nach oben schnellen und husche ins Bad, um mir fix mit etwas kaltem Wasser die Augen auszuspülen.

„Hallo?“, ruft eine laute männliche Stimme, die mir irgendwie bekannt vorkommt, von draußen und pocht zweimal gegen die Tür. „Ich hör‘ doch, dass jemand da ist.“ Ungeduldig klingelt er ein weiteres Mal.

Aufgeregt erscheint Richard im Bad. „Was ist denn da los? Wieso machst du nicht auf?“

Ich richte mich vom Waschbecken auf. „Schau mich doch an. So konnte ich unmöglich öffnen.“

„Warte, ich helfe dir.“ Beherzt greift Richard zum Handtuch, um mir sanft das verletzte Auge abzutupfen. Leider nicht sanft genug.

Ein lautes „Aua, hör auf!“ entfährt mir. Unwillkürlich stöhne ich bei der schmerzhaften Berührung auf.

„Oh, entschuldige!“ Richard schreckt zurück. „Ist die Stelle so empfindlich?“

Der Besucher hämmert erneut an die Tür, diesmal ungehaltener. „Was ist denn da drin los? Machen Sie auf!“

„Soll ich aufmachen?“, fragt Richard unsicher, ob er sich nicht lieber um mich kümmern soll.

Mit einer scheuchenden Handbewegung schicke ich ihn fort. „Ja ja, mach auf. Du kannst mir ja doch nicht helfen.“

Wie der Anführer eines Sondereinsatzkommandos stürmt Herr Nowaki in die Wohnung, bleibt breitbeinig in der Mitte der Diele stehen und versucht, die Lage zu erfassen. Sein Blick fällt auf mich, die ich gekrümmt in der offenen Badezimmertür stehe und mit dem Handtuch in der Hand mein verletztes Auge betupfe.

Blitzartig dreht er sich zu Richard um und greift ihn am Hemdskragen. Richard hebt mit weit aufgerissenen Augen abwehrend beide Hände in die Höhe.

„Hiergeblieben, Freundchen! Jetzt rufen wir die Bullen und dann kannst du denen verklickern, was du mit deiner Frau angestellt hast!“

„Um Gottes Willen, nein!“, rufe ich und haste zu den beiden, um Richard aus Herrn Nowakis Würgegriff zu befreien. Doch gegen seine kräftigen Arme kann ich nichts ausrichten. „Er hat nichts getan!“

„Das behaupten sie alle. Aber Sie dürfen ihn nicht länger schützen, Mensch, sonst hört das nie auf. Kapieren Sie das denn nicht? Ich ruf jetzt die Bullen, bei Gewalt gegen Frauen versteh‘ ich keinen Spaß.“ Umständlich versucht er, eine Hand frei zu machen und nach seinem Handy in der Gesäßtasche zu greifen.